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Die große Neuerung, die die
Europäischen Gemeinschaften im Vergleich zu früheren europäischen Einigungsvorhaben
verkörpern, besteht darin, daß die Gemeinschaft zur Verwirklichung ihrer Ziele
sich einzig und allein auf die Macht des Rechts
stützt.
In der Tat waren sich die sechs Gründungsstaaten bewußt, daß nur eine durch das
Recht geschützte und mit seiner Hilfe
verwirklichte Einigung Aussicht auf Dauer hatte. So haben sie sich entschlossen,
die von ihnen geschaffene Gemeinschaft auf
eine rechtliche Grundlage zu stellen: die Verträge von Paris und Rom (EGKS-,
EWG- und Euratom-Vertrag).
Die Gemeinschaft ist aber nicht nur eine Schöpfung des Rechts, sondern verfolgt
ihre Ziele ausschließlich durch Gestaltung und
Anwendung einer neuen Rechtsordnung, eben des Gemeinschaftsrechts, das sich dadurch
auszeichnet, daß es autonom ist,
in allen Mitgliedsländern der Gemeinschaft einheitlich gilt und sich vom nationalen
Recht unterscheidet, dem gegenüber es
jedoch Vorrang hat, und das zu einem erheblichen Teil in allen Mitgliedstaaten
unmittelbar anwendbar ist.
Wie jede echte Rechtsordnung bedarf auch diejenige der Gemeinschaft eines wirksamen
gerichtlichen Schutzes für den Fall,
daß das Gemeinschaftsrecht in Frage gestellt wird, ober wenn es um seine Anwendung
geht.
Der Gerichtshof als rechtsprechendes Organ der Gemeinschaft ist der Dreh- und
Angelpunkt dieses Schutzmechanismus.
Seine Aufgabe ist es zu verhindern, daß jeder Betroffene das Gemeinschaftsrecht
auf seine Weise auslegt und anwendet, zu
gewährleisten, daß die gemeinsamen Normen ihren gemeinschaftlichen Charakter
bewahren, sowie dafür Sorge zu tragen, daß
diese Normen für alle und unter allen Umständen den gleichen Inhalt haben.
Zu diesem Zweck ist der Gerichtshof für die Entscheidung über Rechtsstreitigkeiten
zuständig, an denen Mitgliedstaaten,
Gemeinschaftsorgane, Unternehmen und Privatpersonen als Parteien beteiligt sein
können.
Entwicklung des Gerichtshofes
Von seiner Gründung im Jahre 1952 bis zum heutigen Tag ist der Gerichtshof
mit mehr als 8.600 Rechtssachen befaßt worden.
Bereits 1978 betrug die Zahl der jährlichen Neueingänge 200; 1985 wurde die Schwelle
von 400 Neueingängen überschritten.
Um diesen Ansturm zu bewältigen und gleichzeitig eine angemessen lange Dauer
der Prozesse zu wahren, hat der Gerichtshof
seine Verfahrensordnung der neuen Situation angepaßt, um die Prozesse schneller
abschließen zu können. Ferner hat er beim
Rat die Einrichtung eines neuen Rechtsprechungsorgans beantragt.
Errichtung des Gerichts erster Instanz
Der Rat hat diesem Antrag entsprochen und dem Gerichtshof ein Gericht
erster Instanz beigeordnet.
Mit der Errichtung des Gerichts erster Instanz im Jahre 1989 soll der Rechtsschutz
der Betroffenen verbessert werden: Ihnen
steht nunmehr ein zweistufiger Instanzenzug zur Verfügung, und der Gerichtshof
kann sich auf seine wesentliche Aufgabe, die
einheitliche Auslegung des Gemeinschaftsrechts, konzentrieren.
Die Mitglieder des Gerichtshofes
Der Gerichtshof besteht aus fünfzehn Richtern und neun Generalanwälten.
Die Richter und Generalanwälte werden von den Regierungen der Mitgliedstaaten
in gegenseitigem Einvernehmen auf sechs Jahre ernannt; Wiederernennung ist
zulässig. Sie sind unter Persönlichkeiten auszuwählen, die jede Gewähr für
Unabhängigkeit bieten und in ihrem Staat die für die höchsten richterlichen Ämter
erforderlichen Voraussetzungen erfüllen oder sonst hervorragend befähigt sind.
Die Richter wählen aus ihrer Mitte den Präsidenten des Gerichtshofes für die
Dauer von drei Jahren; Wiederwahl ist zulässig. Der Präsident leitet die
rechtsprechende Tätigkeit und die Verwaltung des Gerichtshofes; er führt den
Vorsitz in den mündlichen Verhandlungen und bei den Beratungen.
Die Generalanwälte unterstützen den Gerichtshof bei der Erfüllung seiner Aufgaben.
Es obliegt ihnen, in voller Unparteilichkeit und Unabhängigkeit öffentlich
Schlußanträge zu den Rechtssachen, mit denen der Gerichtshof befaßt ist, zu stellen
und zu begründen. Ihre Aufgabe darf nicht mit derjenigen eines Staatsanwalts
verwechselt werden. Eher ist die Kommission Hüterin des Gemeinschaftsinteresses.
Die Mitglieder des Gerichts erster Instanz
Das Gericht erster Instanz besteht aus fünfzehn Richtern, die von den
Regierungen der Mitgliedstaaten in gegenseitigem
Einvernehmen auf sechs Jahre ernannt werden; Wiederernennung ist zulässig. Die
Mitglieder des Gerichts wählen aus ihrer
Mitte den Präsidenten.
Es gibt keine ständigen Generalanwälte; die Funktion des Generalanwalts wird
in einer beschränkten Zahl von Rechtssachen
durch einen Richter wahrgenommen.
Plenum und Kammern
Der Gerichtshof kann in Vollsitzungen tagen oder durch Kammern mit je
drei oder
fünf Richtern entscheiden. Er entscheidet in Vollsitzung, wenn ein Mitgliedstaat
oder ein Gemeinschaftsorgan als Partei des Verfahrens dies verlangt, sowie in
besonders komplexen oder bedeutsamen Rechtssachen. In den übrigen
Rechtssachen obliegt die Entscheidung den Kammern.
Das Gericht erster Instanz entscheidet durch Kammern mit je drei oder fünf
Richtern. In bestimmten, besonders bedeutsamen Rechtssachen kann es auch in
Vollsitzung tagen.
Kanzlei und Verwaltung
Der Gerichtshof ernennt seinen Kanzler auf sechs Jahre. Der Kanzler nimmt
dieselben gerichtlichen Aufgaben wahr wie der
Leiter der Geschäftsstelle eines nationalen Gerichts, ist aber zugleich Generalsekretär
des Gerichtshofes.
Als unabhängiges, eigenständiges Organ verfügt der Gerichtshof über einen eigenen
administrativen Unterbau. Dieser besteht,
von der Kanzlei abgesehen, aus einer Personal- und einer Finanzabteilung, einer
Direktion Wissenschaftlicher Dienst und
Dokumentation, einer Bibliothek, einem Informationsdienst und selbstverständlich
einem umfangreichen Sprachendienst, da der
Gerichtshof sich bei der Erfüllung seiner Aufgaben sämtlicher Amtssprachen der
Gemeinschaft zu bedienen hat.
Das Gericht erster Instanz ernennt seinen eigenen Kanzler. Was den administrativen
Unterbau des Gerichts betrifft, so greift
dieses auf die Dienststellen des Gerichtshofes zurück.
(Quelle Europäische Union) |
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